Mittwoch, 29. Oktober 2008

"Christa Ruland": Neue Rezension auf literaturkritik.de

Chamäleon
Mit "Christa Ruhland" liegt der letzte Band von Hedwig Dohms generationenumfassender Roman-Trilogie in der kommentierten Werkausgabe vor


Von Rolf Löchel

Mitte der 1960er-Jahre wurde die amerikanische Schriftstellerin Silvia Plath mit ihrem Buch "Die Glasglocke" berühmt. Zu Recht. Doch war sie nicht die erste, die das titelstiftende Bild ihres Romans erdachte. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts hat Hedwig Dohm ihre Protagonistin in "Christa Ruhland" darüber klagen lassen, dass die jungen Mädchen und Frauen ihrer Zeit mitsamt ihrer "schönen ursprünglichen Wildheit" und - nicht zu vergessen - ihrem klaren Verstand "unter der Glasglocke" gehalten wurden. Dass Plath Dohms Buch kannte, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Dabei hätte sich ihre Esther Greenwood an Christa Ruhland durchaus ein Beispiel nehmen können, denn Christa hätte die Glasglocke zu gerne "zerschlage[n]".
Mit "Christa Ruhland" liegt nach "Sibilla Dalmar" und "Schicksale einer Seele" nun der abschließende Band von Dohms drei Generationen umfassender Roman-Trilogie in der von Nikola Müller und Isabel Rohner herausgegebenen auf fünfzehn Bände angelegten kommentierten Werkausgabe der frühen Feministin vor. Wie schon die Vorgänger wurde auch dieser Band von den Herausgeberinnen mit einem klugen Vorwort versehen. Dass Dohm mit dem vorliegenden Buch ein "ungemein großes Diskursfeld" abschreitet, dass die Einbettung des Romans in die "kulturelle und geistesgeschichtliche Phasen" seiner Handlungszeit eine noch größere Rolle als in "Schicksale einer Seele" und "Sibilla Dalmar" spielt und dass er "vor Anspielungen auf Kultur- und Gesellschaftstrends der beginnenden Moderne, einer Zeit, die Auf- und Umbruch verspricht, in der Werte zugleich neu verhandelt und vehement verteidigt werden" geradezu sprüht, lässt sich nur unterstreichen. Zumindest in den ersten Kapiteln des Romans lassen sich auf fast jeder Seite versteckte Zitate oder intertextuelle Bezüge finden. Denn Dohm schöpft "mit beiden Händen aus dem Vollen" der zeitgenössischen Diskurse und präsentiert ein mit einem verwirrend-funkelnden "Neben- und Gegeneinander von Ideen, Theorien, Ideologien" gefülltes "Kaleidoskop der Jahrhundertwende". Daher ist es umso bedauerlicher, dass dieser Roman von der Literaturwissenschaft, auch der feministischen, weniger diskutiert wird als die beiden anderen Trilogie-Teile.
Auch in einer zweiten Hinsicht zeichnet sich der Roman gegenüber seinen beiden - heute ebenfalls noch lesenswerten - Vorgängern aus. Seine Ironie ist oft noch feiner geschliffen als in "Schicksale einer Seele" und "Sibille Dalmar" oder in Dohms Essays, in denen die Autorin die groben misogynen Klötze zeitgenössischer Theologen und Wissenschaftler mit zwar ebenso groben, aber doch stets geistreichen und scharfsinnigen Keilen spaltet ...


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