Donnerstag, 26. Juni 2008

"Gegen frauenfeindliche Denker. Nikola Müller und Isabel Rohner stellen Texte von Hedwig Dohm vor.»

Bericht von Rüdiger Oberschür über eine Buchlesung in der Gießener Allgemeinen, 8. Juni 2006, S. 31

Für jeden meiner orthographischen Fehler mache ich die Männer verantwortlich« - so lautet eine der vielen gewagten Äußerungen, der mutigen Frechheiten, die die Schriftstellerin Hedwig Dohm Zeit ihres Lebens der Männerwelt, dem engstirnigen Patriarchat entgegenbrachte. Grund dafür: ihre unzulängliche Schulausbildung im Berlin des 19. Jahrhunderts. Nur einer von vielen Missständen, die Dohm wagte, öffentlich zu beklagen. Bereits 1873 forderte sie als eine der ersten in Deutschland das Stimmrecht für Frauen und setzte sich in ihrem umfangreichen Gesamtwerk aus Romanen, Novellen, Feuilletons, Essays und Theaterstücken für die politische, soziale und ökonomische Gleichstellung von Männern und Frauen ein. Hedwig Dohm (1831-1919) hatte da vor allem auch die akademische Klasse vor Augen, mit ihrem pauschalen Theoriegezwurbel über die Frau als Weib an sich, zwischen angeblicher Naturrolle und gesellschaftlich gewolltem Konformismus. Von der Geistesgeschichte bis zur Psychoanalyse machte Dohm Front gegen frauenfeindliche Denker aller Art, etwa wie Nietzsche oder Georg Groddeck, einen Weggefährten Freuds.Die Historikerin und Redakteurin Nikola Müller hat nun zum 175. Geburtstag der Autorin zusammen mit der Germanistin Isabel Rohner ein Lesebuch zum Jubiläum herausgebracht. »Hedwig Dohm - Ausgewählte Texte«, heißt es und beinhaltet Briefe; Novellen, Aphorismen und Essays. Im Gästehaus der JLU am Philosophikum stellten die beiden auf Einladung des Frauenkulturzentrums und im Namen der Frauenbeauftragten der JLU eine Auswahl aus ihrem Buch vor.In einer jeweiligen textlichen Strichfassung präsentierten Rohner und Müller eine Art szenische Lesung zwischen wissenschaftlichem Smalltalk und literarischem Vortrag. Unterstützt wurden die zwei engagierten Forscherinnen dabei durch den Schauspieler Gerd Buurmann, der mehr als nur eine Zeile mit wildem Leben erfüllen konnte und der auch erstmalig Gießen besuchte.Das glückliche Trio schaffte es da im Laufe von eineinhalb Stunden auf einfühlsame und geistreiche Weise, den 30 Zuhörern die wunderbare Literatur Hedwig Dohms näher zu bringen. Müller und Rohner porträtierten das Werk dieser großen Feministin auch immer aus ihrer eigenen Biografie im Deutschland der Kaiser- und Kriegsjahre. Als glänzende Autodidaktin schildern Müller und Rohner die Schriftstellerin« die für jeden noch so kleinen Funken Bildung kämpfen musste, und betonen auch während der Lesung immer wieder Dohms Gattungsfestigkeit. »Sie war eine Meisterin aller Genres«, so Rohner, zurzeit auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gießener KoMparatistik tätig, über Dohm, die tatsächlich ebenso glänzende Novellen wie Briefe, brillante Essays und auch Dramen geschrieben hat. Vor allem aber galt sie auch schon Zelt ihres Lebens als pointierte Polemikerin, was - weil diese Textsorte in Deutschland eher unbeliebt war - dazu führte, dass Hedwig Dohm lange in Vergessenheit geriet. Dagegen setzen Rohner und Müller auf engagierte Art und Weise ihre wissenschaftliche Arbeit über die Autorin und gaben am Ende noch einen Ausschnitt aus Dohms »Werde die du bist« zum Besten, eine fiktionale Geschichte um die Anstaltsinsassin Agnes Schmidt und eine frisch entstehende Liebe.Dohms gesamtes und sonstiges CEuvre wird in den nächsten Jahren erst noch aufgearbeitet werden müssen. Da stehen Müller und Rohner wohl auch gern Gewehr bei Fuß, zwei weitere BÄnde mit Feuilletons sind bereits für 2007 geplant. Denn Hedwig Dohm, die Tochter eines Zigarrenfabrikanten mit 17 weiteren Geschwistern, hat ein Volumen an qualitativ hochwertigen Werken hinterlassen, das so bis heute selten zu finden ist und das ergo erst einmal überschaut werden will.

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