Samstag, 26. Juli 2008

"Starke Stimme aus der Zukunft. Zur Edition einer Gesamtausgabe der Werke von Hedwig Dohm

Rezension von Wibke Gerking für: LesArt, Heft 1/2007, S. 44f.:

"Ich bin des Glaubens, daß zukünftige Gesellschatten auf unsere Sitten wie auf die von Urvölkem blicken werden; ich bin des Glaubens, da die eigentliche Ge­schichte der Menschheit erst dann beginnt, wenn der letzte Sklave befreit ist, wenn das Privilegium der Männer auf Bildung und Er­werb abgeschafft, wenn die Frau­en aufhören, eine unterworfene Menschenklasse zu sein - die Fesseln der einen binden alle -, dann erst beginnt die freie Ent­wicklung der ganzen Menschheit jene Entwicklung, deren Ziel der Mensch ist - ein Ebenbild Gottes." Hedwig Dohm

Hedwig Dohm lebte in der Zukunft. Sie glaubte an die Veränderbarkeit der Menschen, des Denkens, der Gesellschaft, und deshalb auch daran, daß eines Tages alle Frauen frei und gleichberechtigt sein würden, Sie war eine der ersten, die das glaubten. Und die erste in Deutschland, die dafür schrieb und polemisierte, und das, noch bevor es die erste organisierte Frauenbewegung gab, die radikal genug war, das Stimmrecht, gleiche Berufs- und Bildungschancen und Berufstätigkeit für alle Frauen zu fordern, ob Mütter oder nicht. Eine einsame Denk- und Emanzipationsleistung, zudem das von einer Frau mit mangelhafter Schulbildung. Durch ihre Ehe mit dem Journalisten Ernst Dohm kam sie mit literarischen Kreisen in Be­rührung und verfaßte mit über 40 Jahren die erste feministische Schrift. Sie hatte zum Glück noch ein langes Leben vor sich: Erst 1919, mit fast 90 Jahren, starb sie in Berlin, nach rund 50 Jahren literarischer und journalistischer Tätigkeit.Vermutlich hätte Hedwig Dohm sich die Haare gerauft, wenn sie geahnt hätte, daß sich einige ihrer Polemiken zur Frauenfrage selbst heute, 90, 100 oder 110 Jahre nach ihrer ersten Veröf­fentlichung, noch so erschütternd aktuell lesen könnten. Tauschte man ein paar Namen und Zitate aus, so wären die Schriften jederzeit wieder gegen die Auswürfe neuerer Zeit von Eva Herman bis Bischof Mixa einsetzbar. Die Namen ändern sich, die Argumente bleiben dieselben. Was nicht gerade für den Entwicklungsstand unserer Gesellschaft oder für Hedwig Dohms unerschütterlichen Glauben an die Zukunft spricht, aber doch dafür, ihre Schriften wieder zu lesen. Sie ist es wert. Sie erhellt und bezaubert mit ihrer leuchtend klaren, kalkuliert einfachen Sprache. Und sie läßt einen Tränen lachen über ihre mal leichtfüßige, mal bissige Ironie (und vielleicht auch weinen - wenn sie mal wieder allzu genau trifft). Daß man Hedwig Dohm wieder direkt begegnen kann und nicht nur in irgendwelchen Fußnoten, ist ein Verdienst des Trafo-Verlags und zweier engagierter Wissenschaftlerinnen und Hedwig-Dohm-Forscherinnen, der Historikerin Nikola Müller und der Germanistin Isabel Rohner. 2006, in dem Jahr, in dem Hedwig Dohm 175 Jahre alt geworden wäre, erschienen die beiden ersten von geplanten 14 Bänden einer Gesamtausgabe von Hedwig Dohms Werken, der Edition Hedwig Dohm. In einem kleinen Haus: Die Großen verlegen offenbar lieber stapelweise Biographien über Schwestern, Mütter, Ehefrauen und Geliebte berühmter Männer, als sich um Frauen zu kümmern, die es selbst zu eiwas gebracht haben. Sogar die Schwiegermutter eines berühmten Mannes wurde bereits mit einer eigenen Biographie bedacht: Hedwig Pringsheim nämlich, deren Tochter Katia mit Thomas Mann verheiratet war. Pikanterweise, Freunde und Kenner der Mannschen Familiensage wissen es, war Hedwig Pringsheim aber zuerst und eigentlich die Tochter einer berühmten Mutter, nämlich eben der Hedwig Dohm, um die es hier geht: die bis heute bedeutende und ihrerzeit auch berühmte Frauenrechtlerin und Pazifistin, Feuilletonistin und Romanautorin, eine Frau, die ihrer Tochter in ihrem öffentlichen Wirken und an Berühmtheit haushoch überlegen war. Das hielt die Fachwelt allerdings nicht von der völlig abwegigen Meinung ab, die angepaßte, brave Großbürgersfrau, Gelegenheitsfeuilleton istin und Saloniere Hedwig Pringsheim sei die eigentlich kreative der beiden Frauen gewesen. Gerne wurde geätzt, Hedwig Dohm habe in ihrem Roman »Sibilla Dalmar« schlicht die Briefe ihrer Tochter zu einem Roman zusammengestellt - und das, obwohl der Briefwechsel verschollen ist.Nun liegt »Sibilla Dalmar« auf dem Tisch und spricht für sich selbst. Müßig darauf hinzuweisen, daß der Roman mit dem Leben von Hedwig Pringsheim genauso viel zu tun hat wie etwa Thomas Manns »Buddenbrooks« mit dessen Familiengeschichte. Die Inspiration ist ohne Zweifel zum Teil aus dem realen Leben geschöpft Doch formale Anlage, philosophische Ausdeutung und sprachliche Gestaltung, kurz: alles, was die Kunst ausmacht, das liegt beim Autor oder der Autorin, mag er Mann oder sie Dohm heißen.Und vor allem Hedwig Dohms Sprache böte Stoff für Doktorarbeiten. Sie ist von einer Direktheit, wie man sie sonst fast nur aus der angelsächsischen Literatur kennt, gleichzeitig voll eleganter Ironie, gewürzt mit einer Unzahl kleiner Brüche, die immer wieder aufmerken lassen und dem Fluß ihrer Sprache etwas fesselnd Quecksilbriges und Doppelbödiges verleihen.Das einzige, was man Dohms »Sibilla« und ihrem belletristischen Werk punktuell vorwerfen könnte, ist das, was die Zeitgenossen wohl mit dem Vorwurf »pädagogisch« meinten. Ab und zu scheint ihr Anliegen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, deutlicher durch, als der reinen Kunst guttut Damit ist Dohm allerdings in bester Gesellschaft. Um mit Virginia Woolf zu sprechen, ist es nicht möglich, frei zu schreiben, wenn man nicht frei ist. In diesem Sinne schrieb sie etwa über Charlotte Bronte Sätze, die ähnlich auch auf Hedwig Dohm und mehr oder weniger deutlich auf jede schreibende Frau zumindest der Vorkriegszeit zutreffen: »Aber wenn man sie liest und auf diesen Riß, diese Empörung darin acht gibt, dann erkennt man, daß es ihr nie gelingen wird, ihr Genie heil und ganz zum Ausdruck zu bringen. (...) Sie schreibt im Zorn, wo sie gelassen schreiben sollte; Sie schreibt verrückt, wenn sie besonnen schreiben sollte; Sie schreibt von sich selbst, wenn sie über ihre Charaktere schreiben sollte. Denn sie führt einen Krieg gegen ihr Schicksal.« (in: »A Room of One's Own«). Hed­wig Dohm führte sicher keinen Krieg mehr gegen ihr eigenes Schicksal. Das hatte sie längst in die Hand genommen. Doch sie führte einen Krieg gegen die Vorurteile in ihrer Gesellschaft. Es wäre ein Wunder, wenn man das nicht ab und zu in ihren Büchern bemerkte.»Sibilla Dalmar« ist bereits der zweite Band der Edition Hedwig Dohm. Ebenso anregend und lesenswert wie dieser Roman ist der erste »Hedwig Dohm - Ausgewählte Texte«, eine Auswahl von Novellen, Mini-Dramen und Zeitungsartikeln. Einiges davon wirkt bis heute provokant. Da ist etwa die Nüchternheit, mit der Dohm die Verherrlichung der Mutterrolle lächerlich macht. »Daß die Mütter die geborenen und notwendigen Erzieherinnen ihrer Kinder sind, gehört zu den Erlogenheiten, die überall Kurs haben, und die man als Trumpf gegen die moderne Frauenbewegung ausspielt«, schreibt sie eiwa in »Eine Anregung zur Erziehungsfrage« - wie sich die Zeiten doch nicht ändern! - und weiter, mit schöner Ironie: »Ein flüchtiges Hineinblicken in das positive Leben genügt, um zu erken­nen, daß im Großen und Ganzen idie Mütter die schiechtesten Erzieherinnen ihrer Kinder sind. Man [ frage nur die eine Mutter, was sie von der Erziehung der anderen hält, und man wird die härtesten und schroffsten Urteile hören. Ja glaubt man denn, daß auch die vielen, vielen Frauen, die als Nichtmütter kaum den bescheidensten An­sprüchen an Moral und Klugheit genügen, als Mütter sich in Tugendspiegel und geistige Potenzen verwan­deln?« Brillante Polemik, gepaart mit Mutterwitz, egal, ob es um Kritik an Nietzsche geht oder das un­schöne Schicksal alter Frauen. Dohm legt den Finger in die Wunde, mal mit Wib und Scharfsinn, mal mit scheinbarer Naivität, mal mit höhnischem Gelächter.Von äußerstem Interesse ist übrigens auch Dohms Blick auf ihre berühmten schreibenden Zeitgenossinnen wie Helene Lange, Ellen Key, Lou Andreas Salome. Gerade in den 80er Jahren wurden sie von vielen allzu unkritisch als Vorreiterinnen der Frauenbewegung verstanden, nur weil sie überhaupt schrieben. Hedwig Dohms nüchterne Kritik, belegt durch prägnante, selbstentlarvende Zitate, dürfte so manche lieb gewordene Ikone entzaubern. Egal, ob man Hedwig Dohm aus feministischem, aus historischem, aus sprachlichem oder journalistischen Interesse liest: Die Lektüre bereichert und erfrischt.Hedwig Dohm hat sich einen festen Platz in der deutschen Geschichte und Literatur erschrieben. Es häufen sich die Anzeichen, daß das auch wieder wahrgenommen wird. In ihrer Heimatstadt Berlin wird jetzt erstmals eine Straße nach ihr benannt. Au­ßerdem hat der Journalistinnenbund ihre Grabstätte auf dem Matthäi-Friedhof gekauft und will dort eine Gedenkstätte einrichten. Man darf hoffen, daß die Edition Hedwig Dohm dazu beitragen wird, daß diese große deutsche Autorin endlich so gewürdigt wird, wie sie es verdiente.

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