Mittwoch, 2. Juli 2008

Hedwig Dohm - neu lesen!

Der Ruf von Hedwig Dohm (1831-1919) als brillante Essayistin und Polemikerin ist bis heute ungetrübt. Als Romanautorin wird sie hingegen unterschätzt, was vor allem an der Voreingenommenheit ihrer LeserInnen liegt.

Von Isabel Rohner

Erstveröffentlichung in: An.schlaege, Wien, Ausgabe Oktober 2007.

Ihre politischen Essaybände machten Hedwig Dohm in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts auf einen Schlag bekannt. Kein Wunder: Bestechend klar forderte sie darin die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Männer und Frauen. Damit löste sie nicht nur unter den „Herrenrechtlern“ einen Skandal aus: Auch den Akteurinnen der damaligen gemäßigten Frauenbewegung gingen ihre Forderungen nach Stimmrecht und finanzieller Unabhängigkeit der Frau zu weit.
Berühmt und überaus gefragt war Dohm später auch für ihre Zeitungsartikel, ihre Rezensionen und Polemiken. In unzähligen Feuilletons (erschienen in Tageszeitungen, genauso wie in politisch progressiven und feministischen Medien) zitiert sie die antifeministischen Aussprüche von angesehenen Zeitgenossen aus Philosophie, Medizin und Politik und führt sie ironisch und doch gnadenlos ad absurdum. So dekonstruiert sie unter anderem Friedrich Nietzsche, der „das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorherbestimmtes“[1]sehen wollte, Georg Groddeck, der die These vertrat, dass Frauen keine Persönlichkeiten hätten,[2] oder Paul Julius Möbius, der mit dem Buch Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes einen Bestseller der Jahrhundertwende landete. So unpopulär das Genre der Polemik bei uns – im Unterschied zum englischsprachigen Raum – heute leider ist: Hedwig Dohm ist zweifellos die deutschsprachige Polemikerin des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Wiederentdeckt

Doch Dohm hat nicht nur ein essayistisches Werk hinterlassen, sie war auch eine erfolgreiche Verfasserin von Novellen und Romanen und eine viel gespielte Theaterautorin. Während ihre Erzählprosa in den zeitgenössischen Kritiken der Jahrhundertwende jedoch durchaus positiv rezensiert wurde, fällt das Urteil im späteren 20. Jahrhundert mehr oder weniger vernichtend aus. Dohms Ruf als Romanautorin wird nachhaltig beschädigt. Woran liegt das?
Es ist natürlich durchaus möglich, dass ein Autor/eine Autorin ein Genre besonders gut beherrscht und ein anderes nicht. Doch scheint dies vor dem Hintergrund von Dohms Erfolg und ihrer offensichtlichen rhetorischen Vielseitigkeit keine ausreichende Antwort auf die Frage zu sein. Ein Blick auf die Umstände der negativen Bewertungen vermag da mehr:
In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand auch im deutschen Sprachraum eine Frauenforschung, die es sich zur Aufgabe machte, Frauen in der Geschichte, aber auch in der Literatur sichtbar zu machen. Ein Vorhaben, dem wir heute viel verdanken: Eine ganze Reihe von wichtigen, doch von der männlichen Geschichtsschreibung und Kanonbildung übergangenen Frauen wurde so „wiederentdeckt“, ihre Texte, Thesen und Arbeiten wurden (zum Teil) wieder zugänglich gemacht. Auch Hedwig Dohm gehörte zu diesen Wiederentdeckungen: Wer sich mit der Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland beschäftigt, stößt eher früher als später auf ihre überaus modernen Ansichten.

Politische Autorin

In erster Linie wurde Dohm also als politische Autorin gewürdigt, als mutige Kämpferin für Frauenrechte als Menschenrechte. Auch Dohms Prosa wurde in dieser Phase der Rezeption wieder gelesen, allerdings mit dem Vorsatz, darin ebenso radikale Ansichten zu finden. Doch die Forscherinnen wurden nicht fündig, jedenfalls nicht so, wie sie es erwartet hatten. Was sie suchten, waren Frauenfiguren, die auch den Frauen der Neuen Frauenbewegungen zum Vorbild werden konnten. Da bei Dohm solche Charaktere aber nicht zu finden waren, wurden die Texte als „enttäuschend“ abgestempelt und erhielten das Prädikat „literarisch mangelhaft“.
Gewiss, in ihren Essays fordert Dohm die rechtliche, soziale und ökonomische Gleichheit explizit, frech und direkt, während die Protagonistinnen ihrer Prosa weder aus ihrer Zeit ausbrechen, noch sich über ihre Männer oder über ihre Geschlechterrollen hinwegsetzen – nicht hinwegsetzen können. Dohm wollte in ihren Romanen keine „Super-Frauen“ zeigen, sie wollte vorführen, wie ihre Hauptdarstellerinnen an den Ketten, die ihnen ihre Zeit anlegt, zu Grunde gehen. Sie zeigt uns Verhinderte, zeigt uns seelische Krüppel, die intellektuell zwar begreifen, ihr Leben aber nicht ändern können (wie in Sibilla Dalmar). Sie zeigt sehnsüchtige, angepasste Naive (wie in Schicksale einer Seele und Christa Ruland), deren Naivität sich aber immer mehr als vorgespielt entpuppt, da sie längst schmerzlich erkennen, wie sehr sie unterdrückt sind. Und wir treffen auf Frauen, die zwar ausbrechen wollen, die aber feststellen müssen, dass selbst ihre Sprache und ihr Denken Produkte einer männlichen Gesellschaft sind (wie in Werde, die du bist).
Der Autorin wurde die Verhinderung ihrer Romanfiguren als literarisches Unvermögen ausgelegt. Die Konzeption ihrer Romane, die ironischen Strukturen, die essentielle Intertextualität der Werke, ihre differenzierte Sprache – all das wurde von den KritikerInnen im wahrsten Sinn des Wortes über-lesen und nicht gesehen: Ihre strikte Erwartungshaltung versperrte ihnen den Blick.

Autobiografisch gelesen


Was nun mit ihrer Prosa geschah, ist für den Umgang mit Literatur von Frauen typisch und lässt sich auf eine lange Tradition zurückverfolgen: Man begann, die Texte Dohms autobiografisch zu lesen, als Zugang zu ihrem Leben und Leiden. Diese Lesart wurde dabei auch von der Gestalt der Texte unterstützt: Meistens sind es Briefromane, bez. Briefnovellen, in denen sich die Protagonistinnen in Ich-Form „selber“ zu Wort melden und ihre (fiktiven) Biografien schreiben.
Besonders drastisch geschah dies mit dem Roman Schicksale einer Seele, der bisweilen noch heute als „realitätsgetreues Abbild“ des Lebens der Autorin gelesen wird. Die Folgen sind vielzählig, sowohl für Dohms Biografie, als in Hinblick auf das Bild, das fortan von ihr kursierte. Durch die Gleichsetzung der Autorin mit der Protagonistin, Marlene Bucher,[3] verschoben sich Dohms Lebensdaten um zwei Jahre. Statt des richtigen Geburtsjahres, 1831, galt nun das „Geburtsjahr“ der Romanfigur als das wirkliche. Da die Hauptfigur eine grässliche Ehe schildert, ging man ganz automatisch davon aus, dass auch Dohms Ehe furchtbar gewesen sein musste. Um das zu illustrieren, schreckten viele BiografInnen nicht davor zurück, ganze Passagen aus dem Roman zu zitieren. Und auch heute ist noch viel zu oft zu lesen, Dohm habe sich „aus Schüchternheit“ nicht der organisierten Frauenbewegung angeschlossen. Dohms Protagonistin ist ja schließlich sehr schüchtern…

Fatale Tradition

Das Problem solcher Lesarten ist nun weniger der Wunsch der RezipientInnen, Kindheitsanekdoten Dohms im Roman zu entdecken, sondern die fatale Tradition, in der das Prädikat „autobiografisch“ eine literarische Abwertung einleitet. Selbstverständlich werden auch in Dohms Prosa eigene Erlebnisse und Beobachtungen mit eingeflossen sein – bei welchem Autor oder welcher Autorin wäre das auch nicht der Fall? Während diese harmlose Erkenntnis bei männlichen Autoren jedoch eher als Ausdruck ihrer schöpferischen Fähigkeiten gilt, ihr Leben als Inspirationsquelle und Rohmaterial für die Literaturproduktion zu nutzen, sieht ein traditionelles Literaturverständnis in der weiblichen Autobiografin eine schlichte Abbildnerin der Realität. Abbilden ist nun nicht erfinden, ist kein kreativer, künstlerischer Prozess. Ein „Wert“ mag bestenfalls aus dem erzählten Inhalt resultieren.

Ausschluss aus dem Kanon

Die Akteurinnen der Frauenforschung wollten wichtige Frauen wieder sichtbar machen und ihnen so die Tür zu Geschichte und Kanon öffnen. Durch ihre voreingenommene Vorstellung davon, was sie in den Texten lesen wollten, bestätigten sie jedoch Dohms Ausschluss aus dem männlichen Kanon. Und sie wiederholten dadurch die Ausgrenzungsmechanismen der männlich orientierten Literaturgeschichtsschreibung, derer gerade sie sich bewusst sein wollten.
Ob sie auch Theodor Fontane vorgeworfen hätten, dass seine Effi Briest zugrunde geht und nicht Vorbild für die Frauen des 20. Jahrhunderts ist?

Isabel Rohner: In litteris veritas. Hedwig Dohm und die Problematik der fiktiven Biografie. Trafo Verlag Berlin 2008.


Weitere Infos über Hedwig Dohm: http://www.hedwigdohm.de/

[1] Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut von Böse, Aph. 238. Dohms Feuilleton Nietzsche und die Frauen ist wiederabgedruckt in Nikola Müller & Isabel Rohner (Hg.): Hedwig Dohm – Ausgewählte Texte. Berlin 2006, S. 124-136.
[2] Dohm rezensiert Groddecks Artikel Die Frau, erschienen am 10. 7. 1909 in Die Zukunft (S. 55-69). Ihr Feuilleton Die „Unpersönlichkeit“ der Frau (1909) ist wiederabgedruckt in Nikola Müller & Isabel Rohner (Hg.): Hedwig Dohm – Ausgewählte Texte. Berlin 2006, S. 230-235.
[3] Allein, dass die Hauptfigur einen anderen Namen als die Autorin trägt, würde nach dem Autobiografie-Forscher Philippe Lejeune schon ausreichen, in Schicksale einer Seele unter gar keinen Umständen eine „Autobiografie“ zu sehen. Vgl. Philippe Lejeune: Der autobiographische Pakt. In: Günter Niggl (Hg.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Darmstadt 1998, S. 214-257, insbesondere S. 230ff.

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