Donnerstag, 26. Juni 2008

"Die Menschenrechte haben kein Geschlecht" (Zum Hedwig-Dohm-Wochenende vom 21.-23. September 2007)

Großes Hedwig Dohm-Wochenende in Berlin: Gedenkstein-Enthüllung auf dem Alten Matthäus-Friedhof und Benennung einer Straße am Bahnhof Südkreuz

Von Dagmar Klein
(Erstveröffentlichung des Textes am 20.10.2007 in der Gießener Allgemeinen Zeitung)

Das vorletzte September-Wochenende stand für Berlins Frauen ganz im Zeichen von Hedwig Dohm. Es begann am Freitag Abend mit der szenischen Lesung "Aber - ich soll ein wahres Weib sein?!" im Institut für Menschenrechte, und ging am Samstag Vormittag weiter mit der Benennung der Hedwig-Dohm-Straße direkt am Bahnhof Südkreuz. Am Nachmittag wurde auf den Alten Matthäus-Friedhof in Schöneberg ein Gedenkstein enthüllt, der auf dem Grab von Hedwig Dohm errichtet. Später trat im Rathaus Schöneberg eine Gruppe von Schülerinnen der Berliner Hedwig-Dohm-Oberschule auf, die im Sinne ihrer Namenspatronin pointiert Nachrichten über Gewaltausbrüche und Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen in der ganzen Welt verlasen. "Wir brauchen eine neue Hedwig Dohm!", deklamierten sie zum Schluss. Den Festvortrag hielten die Historikerin Nikola Müller und die Literaturwissenschaftlerin Dr. Isabel Rohner, Herausgeberinnen der Hedwig Dohm-Gesamtausgabe (trafo-Verlag, www.hedwigdohm.de).

Wer ist diese Frau, der zu Ehren dieses große Fest organisiert wurde?
Hedwig Dohm (1831-1919) wurde geboren als das dritte Kind und die erste Tochter von Gustav Schlesinger, Tabakfabrikant, und Henriette Jülich. Die Eltern heirateten erst nach der Geburt ihres zehnten von insgesamt 18 Kindern. Die zuvor geborenen Kinder wurden vom Vater anerkannt und erhielten den Namen Schlesinger. Hedwig Dohm hat immer darunter gelitten, dass ihr nicht dieselben Bildungsmöglichkeiten offen standen wie ihren Brüdern. Was ein starker Beweggrund dafür war, dass sie sich bis ins hohe Alter für eine bessere Ausbildung von Mädchen und Frauen und den uneingeschränkten Zugang zu allen Studienfächern und Berufen einsetzte. Ihre eigene umfassende Bildung eignete sie sich weitgehend als Autodidaktin an.
Bei der Vorbereitung auf einen längeren Spanienaufenthalt bei einem ihrer Brüder, lernt sie ihren späteren Mann kennen, der ihr die spanische Sprache beibringt. Ernst Dohm ist leitender Redakteur der Satirezeitschrift „Kladderadatsch“. Er wurde 1819 in Breslau geboren, seine Familie änderte 1828 mit der Konvertierung zum evangelischen Glauben ihren Namen von Levy in Dohm. Auch Hedwigs Vater war 1817 konvertiert, behielt seinen jüdischen Nachnamen aber bei.
1855 wird Tochter Hedwig Anna geboren, die als verheiratete Pringsheim eine Tochter Katja bekommt, die später Thomas Mann heiratet. Das Schriftstellern liegt dieser Familie offenbar im Blut. Das Dohm’sche Haus ist beliebter Treffpunkt der geistigen Elite Berlins, hier verkehren Ferdinand Lasalle und Gräfin Hatzfeld, Alexander von Humboldt, Franz Liszt, Theodor Fontane und Fanny Lewald, Fritz Reuter, Lily Braun und das Verleger-Ehepaar Duncker.
Hedwig Dohms erste Publikationen sind Märchen, 1876 folgt ihr wissenschaftliches Werk über die spanische Literatur. Von 1872 bis 1879 publiziert sie „feministische Essaybände“, wie sie von den aktuellen Verlegerinnen bezeichnet werden; bereits mit dem ersten „Was Pastoren über Frauen denken“ wird sie bekannt. Es folgen Romane und Gedichtbände, zudem mehrere Lustspiele, die auf Berliner Bühnen erfolgreich aufgeführt werden. Nach dem Tod ihres Mannes 1883 zieht sie zu ihrer Tochter Else, verh. Rosenberg, und unternimmt viele Reisen. Sie engagiert sich in der Frauenbewegung, ist jedoch dem bürgerlichen Flügel zu radikal in ihren Ansichten. Mit dem Erstarken der Radikalen Frauenbewegung nimmt ihre Publikationstätigkeit zu, nun hat sie mehr Rückhalt. Ihre Artikel und Essays erscheinen in Zeitschriften wie Minna Cauers „Die Frauenbewegung“ und Maximilian Hardens „Die Zukunft“. Sie publiziert bis ins hohe Alter, noch 1911 erscheint das Buch „Ehe? Zur Reform der sexuellen Moral“, das sie zusammen mit Anita Augspurg und Helene Stöcker schrieb. Sie stirbt am 1. Juni 1919 und wird auf dem Mätthaus-Friedhof in Berlin, neben ihrem Mann, beigesetzt.

Warum blieb ihre Grabstätte nicht erhalten?
Nach Ablauf des Nutzungsrechts von 40 Jahren lebte keiner ihrer Nachfahren mehr in Deutschland. Es war das Jahr 1939, viele Deutsche waren von den Nationalsozialisten wieder zu Juden gemacht und in die Emigration gezwungen worden. Also wurde das Grab nach Ablauf gesetzlichen Ruhefrist, wie es im Christentum üblich ist, neu belegt. Erst im vergangen Jahr lief diese Nutzungszeit ab und jetzt ergriffen Berliner Frauen die Initiative, an diesem Ort wieder an Hedwig Dohm zu erinnern. Der Journalistinnenbund, der seit 1992 jährlich mit der Hedwig-Dohm-Urkunde Journalistinnen für ihr Lebenswerk auszeichnet, übernahm die Patenschaft (www.journalistinnen.de/aktuell). Dank der großen Resonanz auf Spendenaufrufe konnten der JB genügend Gelder sammeln, die einen 20-jährigen Erhalt der Grabstätte garantieren, und dazu noch einen Gedenkstein den Auftrag für einen Gedenkstein ermöglichte. Die Künstlerin Ulrike Oeter versah diesen mit dem wohl bekanntesten Zitat von Hedwig Dohm: „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht.“
In ihrer Festrede am Grab sagte Prof. Marianne Krüll, die vor 30 Jahren das Buch "Im Netz der Zauberer" über die Familie Mann schrieb und dabei deren Ahnin Hedwig Dohm schon kennengelernt hatte, dass Dohms scharfzüngige Essays und leidenschaftliche Appelle gegen den Krieg heute aktueller seien denn je. Und weiter: „Ich verspreche dir, dass ich auch weiterhin alles in meiner Macht Stehende dafür tun werde, dass unsere Frauengeschichte nicht wieder in Vergessenheit gerät. Denn dich und dein Werk zu ehren, heißt, uns selbst zu ehren: ‚Mehr Stolz ihr Frauen!’ hast du uns zugerufen. Ja, wir sind stolz auf uns, dass wir unsere Wurzeln in unseren Vorgängerinnen lebendig halten. Und wir werden euer Erbe als Vermächtnis an unsere Töchter und Enkeltöchter weitergeben.“

Hedwig Dohm war klarsichtig wie kaum eine andere Autorin ihrer Zeit, sie formulierte scharfe und provozierende Analysen. Sie entlarvte die so genannte "Natur der Frau" als soziales und kulturelles Konstrukt. Sie untersuchte alle sozialen Zusammenhänge, die Frauen und Männer betreffen, jede gesellschaftliche Konstellation mit der Perspektive auf die Geschlechterverhältnisse. Bei der Analyse eines Sachverhalts ließ sie nie den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang außer acht und untersuchte alle öffentlich diskutierten Probleme im Hinblick auf ihre Bedeutung von Frauen: das reicht von pädagogischen Reformen über Sexualethik bis zu Krieg und Patriotismus. Sie forderte als eine der ersten in Deutschland das Stimmrecht für Frauen, im Jahr1873.

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