Freitag, 27. Juni 2008

Rezension aus ARIADNE 51 / Mai 2007, S. 71f.


von Dr. des. Annika Wilmers
Ariadne im Internet: http://www.addf-kassel.de/

"Wer war die Frau, die ihren Mitstreiterinnen des radikalen Flügels der Frauenbewegung als »kühne Bahnbrecherin für die neue Zeit und die neue Frau« (S. 307, Minna Cauer über Hedwig Dohm) galt? Nach einer kurzen Einführung in Hedwig Dohms Leben lassen die beiden Herausgeberinnen des Buches, Nikola Müller und lsabel Rohner, die Frauenrechtlerin selbst zu Wort kommen: 32 Texte Hedwig Dohms, die zwischen den Jahren 1859 - zu diesem Zeitpunkt war Dohm gerade einmal 28 Jahre alt -und 1919 - auf dem Sterbebett der 88-Jährigen - entstanden, vereint der Band in sich, hinzu kommen zwei zeitgenössische Würdigungen.Anstoß für diese Ausgabe, die den Auftakt zu einer mehrbändigen Edition bietet, war der Missstand, dass es bisher keine Gesamtausgabe des umfangreichen Werkes der Schriftstellerin, die neben zahlreichen Artikeln unter anderem auch vier Romane, vier Lustspiele und etliche Novellen verfasst hat, gibt, und viele der Originalausgaben heute nicht mehr zugänglich sind. Wer sich über das Editionsprojekt informieren möchte, dem sei die von den Herausgeberinnen betriebene Homepage - www.hedwigdohm.de - empfohlen.Als Einstieg in eine Gesamtausgabe eignet sich das vorliegende Lesebuch besonders gut, weil die Textauswahl die ungewöhnlich vielseitige Schaffenswelt von Hedwig Dohm eindrucksvoll vorstellt. So vielfältig wie ihre Ausdrucksformen - von der politischen Streitschrift bis hin zur literarischen Bearbeitung politischer Themen - so vielfältig ist Dohms Themenspektrum. Dabei blieb kein Aspekt der Frauenfrage unberührt, und auch oder wohl vielmehr gerade die Themen, vor denen selbst viele zeitgenössische Frauenrechtlerinnen noch zurückschreckten, wurden von der radikalen Verfechterin der Frauenrechte aufgegriffen und eingehend besprochen. Reiht man die Texte aneinander, liest sich das Buch wie ein Spiegel der Zeit, mit dessen Hilfe sich der Entwicklung der Frauenfrage nachspüren lässt.So forderte Dohm für das weibliche Geschlecht nicht nur gleiche Bildungs- und Berufschancen, sondern prangert etwa auch die bürgerliche Doppelmoral mit all ihren Folgen für das Alltags- und Sexualleben von Frauen und Männern schonungslos als Anachronismus und gesellschaftliches Übel an. Entschieden wehrt sie sich auch gegen alle biologisti-schen Zuschreibungen. Das wackelige Argumentationsgerüst der Antifeministen entlarvt sie dabei ebenso scharfsinnig wie geistreich-humorvoll, so dass man mehr als einmal darüber staunt, woher diese Frau, der selbst jegliche weiterführende Ausbildung verwehrt blieb, soviel schriftstellerischen Elan nahm. Und sie deckt nicht nur Widersprüche als »Falschsprüche« (S. 293) auf, sondern erweist sich auch als feinsinnige Beobachterin ihrer Zeit. Kam sie doch beispielsweise zu dem Schluss, dass das zunehmende Engagement von Frauen in anti feministischen Vereinen in den Jahren vor 1914 doch wenigsten den positiven Nebeneffekt mit sich brachte, dass sich diese Antifeministinnen durch ihre öffentlichen Auftritte und Agitationen nolens volens in der Praxis selbst emanzipierten (S. 280).In Dohms letzten Lebensjahren geriet der Krieg als Hauptgeißel der Menschheit ins Blickfeld. Die trotz ihrer akribischen Argumentation zuweilen spürbare Leichtigkeit der älteren Texte weicht einer tiefen, verzweifelten Anklage ob des sinnlosen Hinschlachtens einer ganzen Generation. Und wieder blickt Dohm der Zeit voraus: Während selbst viele kriegskritische Stimmen sich vom Krieg wenigstens noch eine sittliche Erhebung des deutschen Volkes erhofften, machte Dohm dieser Illusion schon 1917 ein Ende (S. 291). Zwar erlebte die Schriftstellerin das Kriegsende noch - ebenso wie die Einführung des Frauenstimmrechts -, Ruhe und Genugtuung brachte ihr das aber nicht mehr.Gelegentlich wäre - neben der Einführung zu Beginn - auch eine knappe Einordnung einzelner Texte in ihren jeweiligen Entstehungskontext wünschenswert gewesen. Teils erschließt sich der Anlass, weswegen Dohm zur Feder griff, aus den Texten selbst, in manchen Fällen aber auch nicht. Wenn man die Vielzahl der Zeitschriften betrachtet, in denen Dohm publizierte, dann hatte sie offensichtlich keine Probleme, ihre Texte in Blättern einer bestimmten (linksliberalen, demokratischen oder sozialistischen) Gesinnungsrichtung zu platzieren. Auch hier wären einige nähere Erläuterungen interessant. Wie war Dohms Verhältnis zu den jeweiligen Redaktionen und Verlegern? Welchen Veränderungen waren diese Beziehungen im Laufe der Zeit unterworfen? Schließlich wäre für die Leserin/den Leser auch eine Zeittafel mit den wichtigsten Lebensdaten Dohms hilfreich, die es ermöglichen würde, die einzelnen Texte der jeweiligen Lebensphase Dohms zuzuordnen - vielleicht eine Anregung für einen der nächsten Bände. Ohne Frage aber ermöglicht der Band als Quellensammlung eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit Dohms Texten und auch dem Lesevergnügen tun diese kritischen Anmerkungen - deren Ausführungen das ohnehin schon über 300 Seiten umfassende Buch zugegebenermaßen noch einmal anwachsen lassen würden - keinen Abbruch. Legt man das Buch aus den Händen bleibt die Vorfreude auf die weiteren Bände der Gesamtedition, die hoffentlich plangemäß erscheinen können ... und zumindest der nächste Band ist inzwischen erschienen, so dass es kurz vor Redaktionsschluss gerechtfertigt zu sein scheint, diese Rezension noch zu ergänzen:
»Sibilla Dalmar«, erschienen 1896, ist Hedwig Dohms zweiter Roman und der mittlere Band der später von der Schriftstellerin konstruierten Trilogie zu den Lebenswegen dreier Frauengenerationen - zusammengesetzt aus dem drei Jahre später erschienenen Roman »Schicksale einer Seele«, »Sibilla Dalmar« und »Christa Ruland«. Von ihrem ersten Roman »Plein Air« hat sich Dohm später distanziert, möglicherweise haben sich die Herausgeberinnen deshalb dazu entschieden, ihn in der Dohm-Edition nicht nach vorne zu stellen.Sibilla Dalmar ist Berlinerin, siedelt nach ihrer Hochzeit mit dem ebenso reichen wie wenig intellektuellen Bankier Benno Raphalo aber nach München über. Im Gegensatz zu ihrem Mann ist sie selbst sehr intelligent und an den philosophischen, künstlerischen und literarischen Debatten ihrer Zeit interessiert, muss aber Autodidaktin bleiben, weil ihr als Frau jede sinnvolle Ausbildung und Tätigkeit verwehrt bleibt. So gelingt es ihr, dem »tristen Übergangsgeschöpf« (Hedwig Dohm über die Romanheldin, S. 23), auch in reiferen Jahren nicht, ihrem Leben ihren Weltanschauungen gemäß einen tieferen Sinn zu geben; vielmehr verharrt sie in Tatenlosigkeit und in Widersprüchen, die besonders im Gegensatz zu der Romanfigur Albert Kunz, einem Sozialisten und Sibilla Dalmars spätere Liebe, aufbrechen.Sibilla Dalmars facettenreiches und zerrissenes Seelenleben, das der Leserin/dem Leser mit jeweils einer Ausnahme ganz zu Beginn und ganz zum Schluss des Buches in Form von Briefen Sibilla Dalmars an ihre Mutter präsentiert wird, wird neben allen individuellen Zügen auch zum Spiegel ihrer Zeit. Dies betrifft sowohl die Geistesströmungen, mit denen sich die Romanheldin, u.a. eine Nietzscheleserin, beschäftigt als auch die angesprochenen sozialen Themen. Allem voran ist es die Stellung der Frau, die im Roman immer wieder teils direkt, beispielsweise wenn Sibilla Dalmar über ihre schlechte Ausbildung klagt (S. 165), teils auch indirekt durch Sibilla Dalmars eigene Verhaltensweisen kritisiert wird. Für eine Historikerin ist es vor allem diese Perspektive, die das Buch aus heutiger Sicht so interessant macht. Über den Schreibstil Dohms kann man sicherlich an manchen Stellen geteilter Meinung sein. Wem Sibilla Dalmars Reflexionen über ihre eigenen Emotionen teils etwas zu langatmig geraten sind, sollte aber doch im Kopf behalten, dass sich Hedwig Dohm durch die konsequente Bindung des Erzählers an die Romanheldin - was eine übergeordnete allwissende Perspektive ausschließt - auch als eine sehr moderne Schriftstellerin erweist.Die Veröffentlichung des Romans löste 1896 einen regelrechten Skandal aus, glaubte sich ein guter Teil der Münchner Gesellschaft doch in den Romancharakteren wiederzuerkennen. Gegen eine Assoziierung der Romanheldin mit Hedwig Dohms ältester Tocher Hedwig Pringsheim, wie es auch die ältere Forschung formulierte, verwahren sich die beiden Herausgeberinnen in ihrer Einleitung zum Roman aber eindeutig. Abgerundet wird die Romanausgabe durch den Abdruck mehrerer zeitgenössischer und in ihrem Urteil unterschiedlich ausfallenden Rezensionen. Diese bereichern die Lektüre sehr, helfen sie doch zusätzlich dabei, sich dem literarischen Bild eines Frauentypus und der dazugehörenden exklusiven Gesellschaftsschicht um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert anzunähern.

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