Donnerstag, 26. Juni 2008

Hedwig Dohm - ein Porträt

Von Isabel Rohner

Bereits 1873 forderte Hedwig Dohm das Stimmrecht für Frauen und kämpfte für ihre Gleichberechtigung in Bildung, Beruf und Beziehung – und stieß dabei nicht nur auf die Gegenwehr eingefleischter Herrenrechtler.

Hedwig Dohm schrieb einmal, sie brauche nicht zu überlegen, was in der Frauenbewegung das Richtige sei. „Der, dem ein Dachziegel auf den Kopf fällt, weiß, dass das Dach schadhaft ist. Er braucht es nicht erst untersuchen zu lassen.“ Und so forderte sie bedingungslos gleiche Chancen für Frauen und Männer – in einer Zeit, in der Frauen weder politische noch ökonomische Rechte besaßen, in der ihnen der Zugang zu Ausbildung und Studium versperrt war und die Ehe als ihr eigentlicher Beruf galt. Die Voraussetzung für eine Gleichberechtigung sah sie im Stimmrecht. Wenn Frauen und Männer erst einmal vor dem Gesetz gleich wären, würde das alle anderen Rechte bedingen: eine Reform des Bildungssystems, die Öffnung sämtlicher Berufe für Frauen und damit ihre finanzielle Unabhängigkeit. Die Ehe wäre nicht mehr einzige Versorgungsgarantin.
Ihre Tätigkeit als Autorin begann sie, die spätere Großmutter von Katia Mann, in den 1860er Jahren mit der Publikation einiger Märchen und einer wissenschaftlichen Arbeit über die spanische Literaturgeschichte. Erstaunlich, denn Dohm hatte nur eine karge Mädchenausbildung durchlaufen: Ihre Schulzeit war mit 14 zu Ende, die Jahre bis zur Eheschließung verbrachte sie vor allem mit Hand- und Hausarbeit. Den einjährigen Besuch eines Lehrerinnenseminars trotzte sie ihren Eltern ab. Erst durch ihren Mann Ernst Dohm, Redakteur der Satirezeitschrift Kladderadatsch, kam sie in Kontakt mit der geistigen Elite der Berliner Gesellschaft: Ferdinand Lassalle und die Gräfin Hatzfeld verkehrten genauso bei ihnen wie Alexander von Humboldt, Franz Liszt oder Theodor Fontane.
In den 70er Jahren, als ihre vier Kinder schon fast aus dem Haus waren, publizierte sie ihre ersten politischen Schriften. Schon die erste machte sie mit einem Schlag bekannt. „Menschenrechte haben kein Geschlecht“, schrieb sie darin, und entlarvte antifeministische Thesen angesehener Zeitgenossen mit unverkennbarem Witz als unhaltbar: „Weil die Frauen Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben. Ich behaupte: Weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben und ich finde die eine Behauptung mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere.“
Die Reaktionen auf diese mutigen und pointierten Texte blieben nicht aus: Mit Schmähbriefen und Spott seien sie und ihre Familie überschüttet worden, schreibt sie einige Jahre später – und dies nicht nur von Seiten der Herrenrechtler. Denn Sätze wie „Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es eine Gewalttat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.“ oder auch „Mehr Stolz, ihr Frauen! Wie ist es nur möglich, dass ihr euch nicht aufbäumt gegen die Verachtung, die euch noch immer trifft.“, stießen auch in den gemäßigten Kreisen der bürgerlichen Frauenbewegung auf wenig Verständnis. Während Dohm die freie Entfaltung von Mädchen und Frauen in allen Bereichen wollte, konzentrierten sich die „Gemäßigten“ auf ein verbessertes Schulsystem, allerdings nur, um so bessere Ehefrauen und Mütter heranzuziehen. Für eine Ausbildung zur Berufstätigkeit, die den Frauen finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht hätte, distanzierten sie sich damals noch deutlich. Für sie waren Dohms Thesen zu radikal, und Dohm sah in den gemäßigten Forderungen kein Veränderungspotential: „Die guten, deutschen Frauen placken sich damit ab, einige Verbesserungen an Mädchenschulen vorzuschlagen, kleine niedliche Fortbildungsanstalten zu errichten, die natürlich, da ihnen nur untergeordnete Lehrkräfte zu Gebote stehen, keine wesentliche Wirkung hervorbringen können.“
Doch noch heute ist in Biografien über Dohm zu lesen, sie habe sich der Frauenbewegung „aus Schüchternheit“ nicht angeschlossen. Eine absurde Behauptung vor dem Hintergrund der historischen Umstände – und der Radikalität und Mut ihrer Thesen.
Erst in den späten 80er Jahren, als der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung erstarkte, fand sie die Schwestern im Geiste: Sie wurde Mitglied des Gründungskomitees von Hedwig Kettlers Frauenverein Reform, trat Minna Cauers radikalem Verein Frauenwohl bei und unterstützte die Gründungsversammlung von Helene Stöckers Bund für Mutterschutz, der eine radikale Reform von Ehe und Ethik zum Ziel hatte.
Und auch publizistisch reagierte Dohm auf diese neue Entwicklung: Zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung legte sie ihre politischen Essays neu auf, und auch im journalistischen Bereich, als Literatur- und Gesellschaftskritikerin, nahmen ihre Publikationen schlagartig zu: Insgesamt veröffentlichte sie über achtzig Artikel, überwiegend in neu gegründeten, politisch progressiven oder feministisch radikalen Zeitschriften.
Doch Dohm war nicht nur eine begnadete Essayistin: Neben ihrem umfassenden politischen Werk hinterließ die Autorin mehrere Romane, Novellen und Theaterstücke. Auch in ihrer Erzählprosa thematisiert sie die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft der Jahrhundertwende und stellt die Allgemeingültigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung in Frage, die Frauen kaum Entwicklungsmöglichkeiten lässt: kraftvolle und expressive Arbeiten der Moderne.
Die Einführung des Stimmrechts für Frauen in Deutschland 1918 erlebte Dohm noch, doch sie soll sie mit den Worten „Zu spät, zu spät“ kommentiert haben. Sie starb ein Jahr darauf.
Hedwig Dohm kämpfte ihr Leben lang gegen festgefahrene Meinungen, die Frauen mit Berufung auf die so genannte „weibliche Natur“ an ihrer Entwicklung hindern wollten. „Was ist denn das: ein wahres Weib?“ fragt sie in einem ihrer Feuilletons. „Muss ich, um ein wahres Weib zu sein, bügeln, nähen, kochen und kleine Kinder waschen?“

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