Donnerstag, 26. Juni 2008

"Mehr Stolz, ihr Frauen!"

Rezension von Irene Fleiss auf http://wolfsmutter.com/artikel396, 02.10.06

Hedwig Dohm - Ausgewählte Texte
Wunderbar kluge und geistreiche, ironische, sprachlich schöne Texte, die furchtlos die Übel für Frauen benennen und analysieren - das ist die Hinterlassenschaft von Hedwig Dohm, die wir jetzt endlich selbst lesen können, statt immer nur über sie zu lesen.
In über fünfzig Jahren veröffentlicht Hedwig Dohm feministisch-politische Essays, Lustspiele, Romane, Novellenbände, Aphorismen, Artikel, Rezensionen und Novellen in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden sowie eine Abhandlung über die "Spanische National-Literatur". Brieflich hat sie Kontakt zu zahlreichen Frauen und Männern des öffentlichen Lebens. Diese Jubiläumsausgabe zum 175. Geburtstag von Hedwig Dohm enthält einiges aus ihrem umfangreichen Werk: Essays, Erzählungen, Dialoge, Aphorismen und Briefe. Die Romane, Feuilletons, Briefe, Essays, Novellen und Theaterstücke sollen in den nächsten Jahren im selben
Verlag in einer Gesamtausgabe erscheinen. Freuen wir uns darauf!

"Wer hin zu meinen Geistes-Welten will, muss voll Glaubens an die Entdeckung des Neulands sein." (Dohm)

Die Themen, die sie auf unterschiedliche, dem jeweiligen Anlaß gemäße Weise behandelt, sind umfangreich, aber alle dienen dem Ziel "der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Chancengleichheit für Frauen". Hedwig Dohm analysiert die bestehende Eheform und die Idealisierung der Mutterschaft, entlarvt die "Natur" der Frau als soziales und kulturelles Konstrukt und untersucht "alle sozialen Zusammenhänge, die Frauen und Männer als solche betreffen, jede gesellschaftliche Konstellation mit der Perspektive auf die Geschlechterverhältnisse. So lässt sie bei der Analyse eines Sachverhaltes nie den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang aus den Augen, und umgekehrt untersucht sie öffentlich diskutierte Probleme ... immer im Hinblick darauf, was sie für Frauen bedeuten." (Die Herausgeberinnen) - 1873 fordert sie als eine der ersten in Deutschland das Stimmrecht für Frauen.Hedwig Dohm unterteilt die Antifeministen in die "Altgläubigen", die "Herrenrechtler", die "praktischen Egoisten" und die "Ritter der mater dolorosa". Das besondere an Hedwig Dohms Texten sind außer der bestechenden Logik, der klaren Analyse und Kompromißlosigkeit ihre Ironie und sprachliche Brillanz. Unverständlich, dass diese Texte nicht schon längst vorliegen, und zwar weder der Allgemeinheit noch zumindest an Universitäten (außer Kopien von Erstausgaben). Immerhin war Hedwig Dohm zu ihren Lebzeiten sehr bekannt, und ihr Ruf als "Vordenkerin der deutschen Frauenbewegung" hat sich erhalten.

"Weil die Frauen Kinder gebären, sollen sie keine politischen Rechte haben. Ich behaupte: weil die Männer keine Kinder gebären, sollen sie keine politischen Rechte haben, und ich finde die eine Behauptung mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere." (Hedwig Dohm)

Zum Inhalt dieser Jubiläumsausgabe: Beeindruckend und bedrückend die Erzählung "Werde die du bist": Eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes völlig leer ist und, ohne Rückhalt an ihren Töchtern zu haben, kein eigenes Lebensrecht findet und bei der Suche danach in der Irrenanstalt landet - und dennoch nicht aufgibt. "Eine Greisin, die an Geburtswehen stirbt. Ob im Tode mein Ich geboren wird? - ob ich im Jenseits werde, die ich bin?" Erleichtert seufzen wir auf und stellen fest, dass wir heute ans Meer reisen und uns in jüngere Männer verlieben dürfen, ohne als verrückt zu gelten. Obwohl - Noch immer steht eine Frau, gar eine ältere Frau ohne den Ausgleich durch Jugend, Schönheit oder Charme, die vom vorgegebenen Rollenmodell abweicht, mit einem Bein im Kriminal, mit dem anderen in der Irrenanstalt. In Essays und Aufsätzen führt Hedwig Dohm Herrenrechtler vor, die herablassend, diffamierend und sich lustig machend über Frauenrechtlerinnen und Suffragetten herziehen ("Herrenrechte", "Die Ritte der mater dolorosa", "Nietzsche und die Frauen"). Köstlich die Abrechnung mit den reaktionären Frauen Ellen Key, Lou Andreas Salome und Laura Marholm, die, trotz sonstiger Unterschiede, von der intellektuellen Überlegenheit des Mannes überzeugt, gegen die Berufstätigkeit der Frau und schlecht auf Frauenrechtlerinnen zu sprechen sind. "Frau Lou" (wie Hedwig Dohm Lou Andreas-Salome bissig nennt) beispielsweise bezeichnet den Mann als "in voller Schärfe der tragische Typus des Menschengeschöpfes". Interessant auch für uns: "Die neue Mutter", "Eine Anregung zur Erziehungsfrage", "Frauenrechtlerinnen", "Sind Berufstätigkeit und Mutterpflichten vereinbar?", "Die alte Frau", "Die ´Unpersönlichkeit´ der Frau", "Fliege, meine Seele, fliege´. Ein Gespräch zwischen Alt und Jung", "Von den Scharfmachern des Antifeminismus", "Der Hass der Geschlechter", "Der Missbrauch des Todes. Senile Impressionen", "Wäre ich ein glühender Patriot" (Frauenbewusste Sprache war vor hundert Jahren noch unbekannt, wie wir sehen), "Zur sexuellen Moral der Frau"; köstlich die Briefe und Aphorismen. Im Dialog "Feindliche Schwestern" geht es um Antifeministinnen und Schriftstellerinnen, die über ihr eigenes Geschlecht herziehen und Männer verherrlichen. In der Erzählung "Ihr Schwanenlied" geht es um die Schönheit im Tode, die harte Erkenntnis einer Mutter über ihren Sohn, um Liebe und Pflichttreue und die Gewohnheit. "Was wir denken, tun, fühlen, vollzieht sich auf Befehl Ihrer Majestät Gewohnheit. Und eine große Töterin ist sie. Sie entseelt die einzelnen und bewilligt ihnen dafür einen Anteil an der Kollektivseele der Massen." Hier möchte ich zu gern eine Diskussion mit Hedwig Dohm über Gewohnheit, Kollektivseele und Individualität beginnen. Wie spannend das sein könnte!Klarsichtig und ironisch zeigt Hedwig Dohm im Dialog "Die Suffragettes", wie auch frauenbewegte Frauen sich selbst in den Rücken fallen, so wie die kämpferische Eva, die am Ende ihrem antifeministischen Geliebten in die Arme fällt mit den Worten "Der Klügere gibt nach". Interessant übrigens, dass zu Hedwig Dohms Zeiten der Begriff "Antifeminismus" offenbar recht gebräuchlich und anerkannt war. Heute machte frau sich eher lächerlich, würde sie einen polemischen Mann als "Antifeministen" (oder auch "Herrenrechtler") bezeichnen oder so manche Frau als "antifeministisch". Schade. Ich wünsche mir eine Renaissance dieses Begriffs. Ein Text von Minna Cauer zum 80. Geburtstag von Hedwig Dohm und ein Artikel von Hedwig Dohms Tochter Hedwig Pringsheim-Dohm über ihre Eltern runden den empfehlenswerten Band ab. Wunderbar, wie aktuell diese Texte heute noch sind, wie viel sie uns noch zu sagen haben. Traurig, wie aktuell diese Texte heute noch sind, wie viel sie uns, mehr als hundert Jahre nach ihrer Entstehung, noch zu sagen haben. Wunderbar, wie herrlich diese Texte geschrieben sind, wie literarisch und klar sie sind, und wie treffend, humorvoll, ironisch, bissig Tatsachen erkannt, benannt und analysiert werden, ohne die Schönheit der Sprache zu schmälern und ohne in Larmoyanz zu verfallen. Auch ohne die (für uns bedauerliche) Aktualität wäre es ein Vergnügen, diesen Band zu lesen. Ebenso aktuell wie zeitgeschichtlich/frauengeschichtlich interessant - mein Tipp: lesen, kaufen, verschenken, nachdenken!Hedwig Dohm - eine Frau, die auch heute ein reiches Betätigungsfeld hätte - und die heute vermutlich viel mehr ignoriert, boykottiert und diffamiert würde, als es vor hundert Jahren der Fall war. Daher ist dieses Buch ungeheuer wichtig, dazu noch köstlich zu lesen und intelligent.

PS: Frauen, die über Hedwig Dohm arbeiten wollen, empfiehlt sich die kommentierte Bibliographie von Nikola Müller aus demselben Verlag. Von den feministischen Essays über die umfangreiche Prosa und Feuilletons bis zum Spätwerk, in dem die alte Frau Hedwig Dohm ungebrochen gegen gesellschaftlichen Antifeminismus und deutsche Kriegsbegeisterung anschreibt, fasst Nikola Müller alles zusammen, was zwischen 1867 und 1919 erschienen ist, auch unbekannte Texte; weiters Sekundärliteratur. Die Kommentare finde ich ausgewogen: ausführlich, wo notwendig, knapp, wo nicht mehr zu sagen oder bekannt ist. Ein biographischer Überblick ergänzt das Bändchen.Nikola Müller: Hedwig Dohm (1831-1919). Eine kommentierte Bibliografie. Trafo-Verlag Berlin 2000. ISBN 3-89626-238-6

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